Menschliche 3D-Gehirne im Labor

Foto: IMBA/Peter Duchek

Die Stammzellforschung in Österreich hat nicht zuletzt mit der Entwicklung der Gehirn-Organoide für reges Interesse gesorgt: Derzeit arbeiten Wissenschaftler und Mediziner mit diesen 3D Modellen daran, Epilepsie besser zu erforschen.

Redaktion: Sophie Niedenzu

Sie sind das Perpetuum mobile der Biologie: Stammzellen. Bei einer Teilung produzieren sie nämlich nicht nur eine ausdifferenzierte Körperzelle, sondern eine identische Kopie von sich selbst. Sie sind daher unverzichtbar, um Organe und Gewebe zu erhalten. Neben embryonalen Stammzellen konzentrieren sich die Forscher seit Jahren auf die sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS). Sie entstehen aus Körperzellen, indem sie im Labor reprogrammiert werden. iPS-Zellen ähneln den natürlichen Stammzellen und haben in den vergangenen Jahren die Forschung mit embryonalen Stammzellen zurückgedrängt: Künstlich erzeugte Stammzellen sind nämlich ethisch unbedenklich, wohingegen Stammzellen aus Blastozyten weltweit immer wieder für Diskussionen sorgen.

Vor einigen Jahren noch galten 2D Zellkulturen als Mittel der Wahl, um Zellen, Mutationen und Ursachen für Erkrankungen zu erforschen. Das Problem: Zellen in einer Kultur verhalten sich anders als in einem lebenden Organismus. Vor einigen Jahren gelang dem Molekularbiologen Jürgen Knoblich vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) mit dreidimensionalen Gehirnmodellen, den sogenannten cerebralen Organoiden, ein Durchbruch in der Stammzellforschung: Mit Hilfe von umprogrammierten Körperzellen wurden 3D Modelle gezüchtet. Diese ermöglichen es, molekularbiologische Interaktionen zu beobachten und so neuronale Krankheiten besser zu erforschen. „Die moderne Biologie orientiert sich immer mehr in Richtung Medizin – und Stammzellforschung ist dabei eine wichtige Triebfeder“, sagt Knoblich. Er ist Leiter von einer der mittlerweile sieben Forschungsgruppen am IMBA, die sich mit Stammzellen befassen: 2016 erhielt das Zentrum für Stammzellforschung am IMBA einen Zuschuss von 22,5 Millionen von Bund und Land. Die Finanzierung läuft bis 2021.

Klinische Forschung

Stammzellen sind auch in der klinischen Forschung im Visier: Da sie menschliches Gewebe neu bilden können, sind sie aus der regenerativen und personalisierten Medizin nicht mehr wegzudenken. Das IMBA arbeitet mit zwei Projekten intensiv mit der MedUni Wien zusammen, konkret mit der Ambulanz für Erweiterte Epilepsiediagnostik an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde. Epilepsie manifestiert sich meist in den ersten zwei Lebensjahren und betrifft daher viele junge Patienten. Bis zu 70 Prozent der gängigen Medikamente sind allerdings auf diese Patientengruppe nicht anwendbar. „Studien an Kindern unterliegen zu recht strengen ethischen Auflagen und sind in der Regel wesentlich aufwendiger und teurer als Studien an Erwachsenen“, sagt Martha Feucht, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie und Leiterin der Epilepsieambulanz. Da sich daher die Pharmaindustrie vornehmlich auf Erwachsene und Jugendlich ab 12 Jahren konzentriere, seien diese Studien aufgrund pharmakodynamischer und pharmakokinetischer Unterschiede nicht direkt auf Kinder übertragbar.

Mit den reprogrammierten Stammzellen in Organoiden ist es nun möglich, Medikamente und neue Therapien am Modell zu testen. Die zwei Studien in Kooperation mit dem IMBA sollen helfen, genetisch verursachte Gehirnkrankheiten mit Organoiden zu erforschen. Konkret handelt es sich um die tuberöse Sklerose und das Dravet-Syndrom. Beide Erkrankungen führen zu Epilepsie und in weiterer Folge zu Entwicklungsstörungen. Gewebeproben von Patienten werden daher von der MedUni Wien an das IMBA geschickt, wo damit Stammzellen reprogrammiert und Organoide hergestellt werden. Die Forscher erhoffen sich, mehr über die Gendefekte hinter den beiden Erkrankungen zu erfahren. Generell sei aber mit einer Zeitspanne von 15 bis 20 Jahren zu rechnen, bis die Ergebnisse in der Grundlagenforschung beim Patienten umsetzbar sind.

Verstärkte Vernetzung

Das Potenzial der 3D Gewebemodelle mit Hilfe von Stammzellen ist jedenfalls groß: in zahlreichen Forschungseinrichtungen wird an Multipler Sklerose und anderen neurologischen Erkrankungen geforscht, denn die Organoide sind auch eine Alternative zu Tierversuchen. Der Austausch unter Forschern soll mit der Gründung der „Österreichischen Gesellschaft für Stammzellforschung“, die mit Frühjahr 2018 geplant ist, verstärkt werden. (Sophie Niedenzu, 23.2.2018)